„Lumbung“ und die „Weisheit der Vielen“ – Zukunft der Bildung, Bildung der Zukunft
Einblicke in die Zukunftswerkstatt der Bugenhagenschule im Hessepark, 15.–16.9.2022
In der indonesischen Tradition findet man den Begriff des „Lumbung“. Damit ist eine Reisscheune gemeint, in die eine Dorfgemeinschaft ihre Überschüsse zusammenträgt, also das, was der Einzelne für sich nicht unmittelbar benötigt, um dann gemeinschaftlich über die weitere Verwendung dieser Vorräte zu entscheiden. In eben dieser Tradition war die documenta 15 im vergangenen Jahr in Kassel konzipiert. Künstler*innen überlassen ihre ideellen Vorräte und Ressourcen der Gemeinschaft, und zusammen wird entschieden, wie diese Ressourcen verwendet und aufeinander bezogen werden. So standen in der Ausstellung nicht die Exponate einzelner Künstler*innen im Vordergrund, sondern vielmehr vorbereitete und in permanenter Veränderung befindliche Begegnungsräume, in denen eine Vielfalt kommunikativer, verbindender und vernetzender Elemente vorgeführt wurde, die alle eines zum Ziel hatten, nämlich eine lebendige Vision gemeinschaftlicher künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis zu entfalten. Im Rahmen der Planung eines Zukunftskongresses an der Bugenhagenschule im Hessepark, unserem Schulstandort in Blankenese, besuchte das fünfköpfige Vorbereitungsteam im vergangenen Sommer die für ihre avantgardistischen und kontroversen Diskurse bekannte Kunstschau. Warum könnte der Ansatz des indonesischen Kuratorenkollektivs wichtig sein für die Zukunftsstrategie einer Schulgemeinschaft?
Die Ressourcen aller in die Gemeinschaft einbinden
Die Welt ist komplexer geworden, die Zukunft ungewisser. Überkommene Bildungsstrategien greifen nicht mehr, was spätestens seit der Coronapandemie klar erkennbar ist. Durchgeschüttelt von lokalen, regionalen und globalen Krisen hat eine Schule neben der Vermittlung von Fachinhalten immer mehr die Aufgabe, aktuelle Entwicklungen zu hinterfragen und auszubalancieren, Sinn zu suchen, Perspektiven auszuloten, Zuversicht, Zutrauen und Zusammenhalt zu vermitteln – und zu klären, wie wir Kinder und Jugendliche sinnvoll auf eine immer schwerer vorhersehbare Zukunft vorbereiten. Als Blankeneser Schulgemeinschaft sind wir davon überzeugt, dass die Antworten auf diese Frage weder ein Fachmann oder eine Fachfrau noch eine einzelne Führungskraft noch ein präzise ausgeklügelter schulischer Rahmenplan geben kann, sondern vielmehr als Ressource in der Schulgemeinschaft als Ganzes liegt. Im Rahmen einer Zukunftswerkstatt stellten wir uns die Frage, wie wir diesen Schatz heben können, ohne ihn zu verletzen, wie wir ihn bewahren können, ohne ihm seine Lebendigkeit zu nehmen. Und wie wir die Ressourcen aller klug in die Gemeinschaft einbinden können. Wir wollten Vielfalt zulassen, Selbstorganisation entfalten und Vertrauen haben in die Bevorratung unserer Ideenscheune.
Wie sieht unsere Schule der Zukunft aus?
Diese Ideenscheune nennt der Zukunftsforscher Prof. Olaf Axel Burow die „Weisheit der Vielen“ und bezeichnet damit seinen Ansatz, mit Organisationen oder Gemeinschaften wie der unseren in einen Ideen-Workshop einzusteigen, der Zukunft gestaltet. Was sagt diese Weisheit der Vielen nun? Wie sieht sie aus, die Bildung der Zukunft? Jedenfalls – so erleben wir es – ist sie kein vorgefertigter Weg und sie folgt auch keinem Masterplan. Dennoch geht sie ganz konkrete Schritte in Richtung einer gemeinsamen Vision, die in lebhaften Diskussionen während unserer Auftaktveranstaltung mit etwa 100 Kolleg*innen, Schüler*innen und Eltern sowie Vertreter*innen aus dem Stadtteil, der Schulbehörde, der Kirche und der Evangelischen Stiftung Alsterdorf im September 2022 heranwuchs und mithilfe eines Gedankenzeichners schließlich Gestalt annahm. Wer und wie wollen wir als Schulgemeinschaft sein? Wie wollen wir unsere Schule gestalten? Wie sieht unsere Schule im Jahr 2030 aus? Und was können wir heute, also genau jetzt, schon dafür tun?
„Wir lernen aus der Zukunft“
Wertschätzend – verbunden – ideenreich. Aus der Zusammenschau der vielfältigen Visionen, die während der ersten Phase entstanden sind, sind dies die Kernwerte, der sogenannte Zukunftscode, der als eine Art Navigationssystem auftritt, mit dessen Hilfe wir unsere Haltungen, unser Handeln im Schulalltag und die Entwicklung unserer Schule steuern können. Und diese schließlich liegt in der Hand von insgesamt 14 Arbeitsgruppen, die sich seither einzelnen Themenschwerpunkten widmen und erste Schritte gehen: forschendes Lernen, gemeinsam Abenteuer erleben, Lerninhalte handlungsorientiert gestalten, fächerübergreifende Projekte, internationale und interkulturelle Ausrichtung, außerschulische Lernorte, neue Raumkonzepte, Hinterfragen der traditionellen Lerngruppenstruktur, Schule im Stadtteil, Arbeiten in Lernateliers, christliche Werte und stärkendes Miteinander, selbstbestimmtes Lernen, Lernpatenschaften und freie Gestaltung des Stundenplanes, ein Schulparlament, welches die Schule leitet. Was fasziniert: Vieles von dem wirft seine Schatten längst voraus, ist in der DNA der Schule bereits angelegt. Das Inklusive, Evangelische und Reformpädagogische folgt hieraus zwingend, muss nicht explizit Thema sein und geht im Zukunftscode auf. „Wir lernen aus der Zukunft“. Dieser Satz schließlich wird uns zur Mission und macht deutlich: In einer immer komplexer werdenden Welt müssen wir die eigene Komplexität erhöhen, und das bedeutet, eben auf Vielfalt und Vernetzung zu setzen, dabei veränderbar zu sein und gleichzeitig verbindlich zu bleiben. Klingt herausfordernd. Ist es auch.
Ein Zukunftsbild entsteht
Dominik von Loesch, der als Gedankenzeichner gemeinsam mit Prof. Burow die ersten Schritte in Blankenese vor Ort begleitete, präsentierte uns am Ende des zweiten Tages ein Zukunftsbild, welches als eine Art Leitbild eine so ganz anders geartete Dokumentation hinterließ. Eine, die es alternativ zu einer Sammlung von ausformulierten Leitsätzen erlaubt, unter einer Vision zu stehen, die zwar konkret, aber doch erst aus der Zukunft wie durch einen Nebelschleier zu uns hinüberblickt, hier und da zwinkert vielleicht, aber sich eben erst nach und nach in voller Pracht entfaltet. Wir sind neugierig und freuen uns darauf.