Das Licht kommt zurück in die Kirche
Wer die Kirche St. Nicolaus auf dem Stiftungsgelände betritt, wird staunen: Nach der gut zweijährigen Sanierung öffnet sich ein lichtdurchfluteter Raum. Dort, wo früher das dunkle Altarbild die Kirche begrenzt hat, geht jetzt der Blick nach draußen. Das macht auch etwas mit der Atmosphäre im Gottesdienst: Sie ist befreiter und offener.
Vor ihrer Sanierung 2022 wirkte die Kirche dunkel. Durch die Fenster kam nur wenig Licht, was bei den Gottesdienstbesucher*innen unterschiedliche Gefühle auslöste – von gemütlich bis hin zu einem bedrückenden Engegefühl. Heute ist St. Nicolaus hell und weit. Das liegt vor allem daran, dass die gesamte Rückwand mit Altarbild versetzt und durch ein riesiges Fenster ersetzt wurde.
Das alte Altarbild befindet sich nun um 180 Grad gedreht tief in den Boden eingelassen in der Mitte des Lern- und Gedenkortes. Das Bild wurde 1938 als sogenanntes Sgraffito in die Wand hineingemalt. Es leitete mit seiner menschenverachtenden Botschaft das dunkelste Kapitel der damaligen Alsterdorfer Anstalten ein: die Deportierung und Ermordung von 630 Menschen mit Behinderung. Als Teil des neuen Lern- und Gedenkortes ist das Altarbild nun zu einem Mahnmal für die Zukunft geworden.
Die Vergangenheit und Gegenwart der Evangelischen Stiftung Alsterdorf lässt sich in der Kirche St. Nicolaus spüren und erleben. Erbaut im Jahre 1889, ist sie das letzte Gebäude, das Pastor Heinrich Matthias Sengelmann, der Gründer der Stiftung, noch zu Lebzeiten erstellen ließ. Auf der linken Seite des Kirchenschiffs ist deshalb ein Teil der damaligen Innenbemalung erhalten geblieben.
Versetzen des Altarbildes
Licht von allen Seiten erfreut die Gottesdienstbesucher*innen
Das Spiel mit dem Licht stand bei der Renovierung der Kirche im Vordergrund. So erstrahlen die Wände in Weiß, die Decke in einem Hellgrau, und der Altar, das Lesepult sowie die Bestuhlung sind aus hellem Holz gefertigt. Alle Farbtöne und Materialien reflektieren so viel Licht wie möglich, das durch die Fenster und die gläserne Rückwand fällt.
„Vor der Sanierung hatte St. Nicolaus durch den dunkleren Innenraum etwas von einem Rückzugsort, etwas Abgeschlossenes von der Außenwelt, aber auch etwas Vertrautes, Gemütliches. Das Altarbild war nicht direkt im Blick, sondern über viele Jahre verhängt oder durch ein Mobile verdeckt“, berichtet Christian Möring, der Pastor an St. Nicolaus ist und als Seelsorger im Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf arbeitet. „Wir waren als Gottesdienstgemeinde überrascht, wie viel Energie die neue Gestaltung auch in unsere Gemeinschaft gebracht hat – vom eher ruhigen, auf sich bezogenen hin zu einem positiv in die Zukunft blickenden Feiern.“
Die neue Kirche St. Nicolaus kann für viele verschiedene Veranstaltungen genutzt werden. Neben den regelmäßigen Gottesdiensten finden dort auch Workshops, Konzerte und Abendveranstaltungen statt. Der Raum lässt sich flexibel gestalten – möglich machen es Stühle anstelle von Kirchenbänken. Dadurch ist der Kirchenraum auch deutlich barrierefreier und flexibler geworden.
Für Besucher*innen im Rollstuhl oder mit Gehbeeinträchtigung wurde die Kirche sowohl innen als auch außen ebenerdig gestaltet mit Rampen, die die Zufahrt ermöglichen. Das Lesepult und der Altar sind höhenverstellbar und mobil, sodass sie überall im Kirchenraum zum Einsatz kommen können. Der Altar hat zudem die Besonderheit, dass man mit einem Rollstuhl unter die Altarplatte fahren und so auch mit Einschränkung liturgisch handeln und Gottesdienste gestalten kann. Auch eine induktive Höranlage wurde installiert für Menschen mit Hörgeräten oder -implantaten.
„Jetzt fühle ich mich total wohl und freue mich“
„Als ich nach einem Schicksalsschlag begann, die Gottesdienste in St. Nicolaus zu besuchen, wurde ich von der Gemeinde sehr liebevoll aufgenommen. Ich kam mir sofort heimisch vor. Diese Gemeinschaft, das war ein ganz tolles Gefühl“, erzählt Vera Köster, eine regelmäßige Gottesdienstbesucherin und Teil der Vorbereitungsgruppe „Sonntags um 11“.
Zwei Jahre lang feierte die Gemeinschaft ihre Gottesdienste während der Sanierung und aufgrund der Corona-Auflagen auf dem Marktplatz – bei Wind und Wetter. Das hat die Gottesdienstbesucher*innen noch mal enger zusammengeschweißt. „Als wir nach der Sanierung wieder zurück in die Kirche gezogen sind, hatte ich Tränen in den Augen. Das war so ein schöner Moment, wie Heimat finden“, berichtet Köster von der Prozession in die neu gestaltete Stiftungskirche St. Nicolaus.
„An die neue Kirche musste ich mich erst gewöhnen. Das war wie bei einer neuen Wohnung. Aber jetzt fühle ich mich total wohl und freue mich, dass es so hell und freundlich ist.“ Vera Köster hat nicht nur den Eindruck, dass die Gemeinschaft durch den Sanierungsprozess noch enger zusammengewachsen ist, sondern dass auch mehr Menschen jetzt die Gottesdienste besuchen. Die lichtdurchflutete Kirche ermöglicht es den alten und neuen Besucher*innen, die Gottesdienste neu zu gestalten und zu erleben.